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Recycling-Vorbild, oder doch nicht?

14.11.2018
von Michelle Christen

Die Schweiz produziert aufgrund ihres Wohlstandes viel Plastikmüll. Als vermeintliche Lösung versprechen private Unternehmungen hohe Quoten im Recycling. Die Kunststoffabfälle gehen dabei zum Sortieren ins grenznahe Ausland.

Wenn andere Staaten Plastik in der Erde vergraben oder im Meer versenken, schütteln viele Schweizer den Kopf. Doch was passiert eigentlich mit unseren Kunststoffabfällen? Schliesslich produziert die Schweiz reichlich davon. Laut dem Bundesamt für Umwelt (BAFU) verbraucht die Bevölkerung hierzulade jährlich über eine Million Tonnen Kunststoffe. Etwa 250 000 Tonnen davon kommen in ein sogenanntes Zwischenlager. Damit sind Kunststoffprodukte gemeint, die über eine längere Zeit gebraucht werden, wie beispielsweise Fensterrähmen. 780 000 Tonnen werden im selben Jahr des Kaufs nicht mehr benötigt und entsorgt. Dazu gehören allerlei Konsumgüter wie Essensverpackungen und leere Putzmittelflaschen. Rund 80 Prozent davon landen in Kehrichtverbrennungsanalgen und 6 Prozent in Zementwerken. Lediglich 80 000 Tonnen vom Plastikmüll verwertet die Schweiz stofflich. Von einer stofflichen Verwertung ist dann die Rede, wenn die Nutzung der stofflichen Eigenschaften der Abfälle im Zentrum steht – im Volksmund Recycling genannt.

Plastik ist nicht gleich Plastik

Bei der Wiederverwertung von Kunststoffabfall existieren Hindernisse, welche die Plastik-Recycling-Quote eher gering halten. Ein Teil des Kunststoffmülls stammt von Haushalten, wodurch die Gegenstände heterogen gesammelt und dadurch aufwändiger zum Recyceln sind. Laut Kassensturz produziert eine vierköpfige Familie in der Schweiz durchschnittlich 125 Kilogramm Plastikabfall. «Die meisten Lebensmittelverpackungen bestehen aus mehreren, unterschiedlichen Plastikarten. Das macht das Recyceln noch komplexer, da die Industrie reine Granulate braucht», weiss Chris Ruegg von Swiss Recycling. Würden die Produzenten die Verpackungen so herstellen, dass sie gut rezyklierbar wären, hätten sie einen geringeren Schutzfaktor für die Ware in der Verpackung. Das Material müsste entsprechend dicker sein, wodurch noch mehr Plastik benötig würde. Ausgeschlossen von dieser Problematik sind PET-Flasche, PE-Hohlkörper sowie Behälter und Folien aus PE und PP. Für diese Granulate gibt es in der Schweiz und Europa Absatzmärkte und das Wiederverwerten macht ökologisch und wirtschaftlich gesehen Sinn. 

Die Schweiz verbrennt den restlichen, nicht rezyklierbaren Plastik über den Siedlungsabfall im eigenen Land. Die freigesetzte Energie bei der Kehrrichtverbrennung nutzt die Schweiz, um Strom und Wärme zu produzieren.

780 000 Tonnen werden im selben Jahr des Kaufs nicht mehr benötigt und entsorgt.

Neues Sammelsacksystem

Seit rund zwei Jahren hat sich hierzulande ein neues Konzept etabliert. Private Unternehmen verkaufen spezielle Sammelsäcke für durchschnittlich zwei Franken. Sie bieten den Konsumenten an, dass diese ihre Kunststoffabfälle damit bedenkenlos entsorgen können. Gewisse Vertreiber der Säcke werben mit einer Recycling-Quote von 80 Prozent. Der Grossteil des typischen Kunststoffabfalls eines Haushaltes ist jedoch aus minderwertigen Materialien, was dessen Wiederverwendung unmöglich macht. Kassensturz wollte wissen, was mit dem Abfall passiert, und stattete Sammelsäcke für gemischte Kunststoffabfälle von unterschiedlichen Betrieben mit Ortungssendern aus. Dabei fand die Schweizer Fernsehsendung heraus, dass viel Plastik zur Sortierung ins Ausland gelangt. 

Die Kunststoffrecycler sammeln die Kunststoffabfälle und transportieren sie zum Sortieren über die Grenze. Seit China den Altkunststoff nicht mehr annimmt, bleibt er grösstenteils in Europa. «Sobald Kunststoffabfälle über der Grenze sind, sind deren Mengenströme für uns nicht mehr nachvollziehbar. Dann sind sie einfach weg», so Ruegg.

Vom Schweizer Badezimmer ins Meer

In die Kategorie Mikroplastik gehören Kunststoffteilchen, die kleiner als fünf Millimeter sind. Einerseits existiert bewusst produzierter Mikroplastik für Produkte wie Kosmetika. Daneben gibt es Mikroplastik, der durch den Zerfall von Plastikmüll entsteht. Landet ein Plastiksäckchen im Meer, benötigt es 450 Jahre, um sich zu zersetzen. Das Material verschwindet allerdings nie, sondern zerstückelt in fast unsichtbare Teilchen – also in Mikroplastik. Meerestiere verwechseln die Kunststoffstückchen mit Nahrung, wodurch jährlich tausende Tiere sterben. Und auch den Menschen ist es nicht möglich, dem Plastik zu entkommen. In einer neuen Pilotstudie vom Umweltbundesamt (UBA) und der Medizinischen Universität Wien untersuchten Forscher den Stuhlgang von acht Teilnehmern, und wiesen bei allen Probanden Mikroplastik nach. Die gesundheitlichen Auswirkungen der Stoffe sind umstritten.

Die Kläranlagen filtern höchstens 93 Prozent der Plastikpartikel heraus.

Wer jetzt denkt, dass das Binnenland Schweiz keine Schuld an der Meeresverschmutzung mitträgt, irrt sich. Neben gewissen Kunststoffabfällen aus Gewerbe und Industrie, die in Einzelfällen billig nach Asien abgeschoben werden, füttern wir die Meere auch direkt mit Plastik. In synthetischen Materialien unserer Kleidung und Kosmetikartikeln steckt Mikroplastik, der ins Abwasser gelangt. Die Kläranlagen filtern höchstens 93 Prozent der Plastikpartikel heraus. Der Rest landet in den Flüssen und später im Meer.

Auch in der Schweiz gibt es Verbesserungspotenzial. Das Plastic Recycling für Haushalte steckt noch in den Kinderschuhen. Um die Quote zu erhöhen, sollte sich das Verhältnis des ökologischen Nutzens und dem ökonomischen Aufwand steigern.

Das wäre der Fall, wenn die Methoden effizienter würden und die Nachfrage für Sekundärrohstoffe stiege. Jedenfalls braucht die Bevölkerung Klarheit darüber, wie Kunststoffe zu sammeln sind und wie sie verwertet werden. Zusätzlich sollte die Verpackungsindustrie weniger Plastikarten mischen, damit die Wiederverwendung möglich wird. Das Allerwichtigste ist jedoch, dass weltweit weniger Plastikabfall entsteht. Und dazu kann jeder seinen Teil beitragen.

Stellungnahme des Verein Schweizer Plastic Recycler (Juli 2019)

«Bezüglich Recyclingquote gibt es bis heute keine allgemein gültige Definition. Bei der Recyclingquote spricht man bei vielen Recyclingsystemen vom Sammelgut, das stofflich verwertet werden kann (Input) ohne Abzug der Prozessverluste wie etwa Feuchtigkeit oder Etiketten-Anhaftungen. Je nach System beträgt diese Quote bei den gemischten Kunststoffsammlungen zwischen 60 und 80%. Bei der von Empa definierten technischen Recyclingquote von Kunststoffen hingegen spricht man vom aufbereiteten Regranulat, das wieder einsetzbar ist (Output). Diese beträgt knapp 50%. Konkret bedeutet dies, dass von gesammelten, gemischten Haushaltskunststoffen etwas knapp über die Hälfte in Regranulate umgewandelt werden kann. Der brennbare Rest wird als Ersatzbrennstoff in Zementwerken thermisch verwertet und ersetzt dort Kohle 1:1. Die Kunststoffabfälle werden im grenznahen Ausland sortiert. Ein wesentlicher Anteil davon kommt in der Schweiz in der Kunststoffindustrie wieder zum Einsatz.»

Text: Michelle Christen

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