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Tabuthema Suizid

03.03.2020
von Lars Meier

Bestimmte Themen bleiben in unserer Gesellschaft tabu – egal, wie man sie dreht und wendet. Suizid ist eines davon. Der neue Schweizer Film «Jagdzeit» setzt sich nun damit auseinander und eröffnet damit einen neuen Diskurs zu Suizid. Wie «Jagdzeit» Bezug auf reale Schicksale nimmt und wie es möglich ist, einen geplanten Suizid zu erkennen und zu verhindern.

24. März 2015. Der Germanwings-Flug 9525 hebt kurz nach 10 Uhr in Barcelona ab, rund zwei Stunden später soll die Landung im mehr als tausend Kilometer entfernten Düsseldorf erfolgen. Doch die Maschine kommt dort nie an: Um 10:41 Uhr zerschellt das Flugzeug im Bergmassiv Trois-Évêchés in den Provenzalischen Alpen; die 150 Menschen an Bord sind sofort tot. Nachforschungen ergeben später, dass der Co-Pilot die Maschine mit Absicht abstürzen liess und somit nicht nur sich, sondern auch 149 weiteren Menschen das Leben nahm.

Fünf Jahre danach

Bald jährt sich die Tragödie zum fünften Mal und lässt die Erinnerungen an diesen Tag wieder wach werden, der sogar international für Aufsehen sorgte. Gleichzeitig rückt damit der Aspekt des Suizids wieder in den gesellschaftlichen Fokus und somit die eine Frage, die man sich immer wieder stellt: «Warum?»

In der Schweiz haben laut einer 2019 veröffentlichten Studie 33 000 Menschen innert eines Jahres versucht, sich das Leben zu nehmen.

In der Schweiz haben laut einer 2019 veröffentlichten Studie 33 000 Menschen innert eines Jahres versucht, sich das Leben zu nehmen. Was dabei besonders ins Auge sticht: In der Studie erreichten 15- bis 24-Jährige und 55- bis 64-Jährige die höchsten Werte. Doch was sorgt für diese hohe Rate bei Menschen im Alter vor der Pensionierung? Darauf gibt es in den meisten Fällen oft keine eindeutige Antwort. Der Ende Februar angelaufene Film von «Der Goalie bin ig»-Regisseurin Sabine Boss beschäftigt sich ebenfalls mit dieser Thematik und erinnert an die Männer in Schweizer Führungspositionen, welche ihrem Leben ein Ende setzten.

Machtkampf bis zum bitteren Ende

Stefan Kurt spielt in «Jagdzeit» Alexander Maier (53), den perfektionistischen Finanzchef des Schweizer Konzerns Walser. Aufgrund einer Lebenskrise stürzt er sich in Arbeit: Immer noch hegt er Hoffnungen, dass seine Ex-Frau und der gemeinsame Sohn zu ihm zurückkehren. Dann tritt der von Ulrich Tukur gespielte CEO Hans-Werner Brockmann (59) in sein Leben, welcher den Auftrag hat, die Firma radikal umzustrukturieren. Zunächst ziehen die beiden Männer noch am selben Strang, um den sich auf einem absteigenden Ast befindenden Betrieb über Wasser zu halten. Aber immer mehr driften ihre Vorstellungen voneinander ab, und bald entfacht ein bitterer Kampf.

Suizid als Racheakt

Das Platzen eines Deals mit einem Grossinvestor bringt das Fass zum Überlaufen: Brockmann gibt Maier die Schuld für das Scheitern, worauf dieser realisiert, dass er alles verloren hat, was ihm je wichtig war: Seinen Ruf, seine Frau und seinen Sohn. Von Rache getrieben, sieht er nur noch einen Ausweg. Er begeht schliesslich Suizid und gibt Brockmann die Schuld an seinem Tod.

Bezug zur Realität

Regisseurin Sabine Boss hat sich aus mehreren Gründen für das Drehen von «Jagdzeit» entschieden. «Leute, die bei Exit arbeiten und Menschen in den Freitod begleiten, beeindrucken mich sehr», sagte sie im Gespräch mit Thomas Ihde (siehe KONTEXT#3), zudem hat sie bereits einen «Tatort» zum Thema Freitod gedreht. Was viele nicht wissen: Die Regisseurin sitzt auch im Patronatskomitee von Exit und kann sich vorstellen, Sterbewillige aktiv zu unterstützen, wenn sie älter ist. Ihr Film ist auf tragische Weise mit der Realität verknüpft: Denn beim Schauen werden wie bereits erwähnt wieder Erinnerungen an die Männer wach, welche eine Führungsposition innehielten und sich das Leben nahmen.

Inwieweit hängt eine Führungsposition mit Suizid zusammen?

Betrachtet man die jeweiligen Fälle, fühlt es sich an, als würde sich ein und derselbe Fall stets aufs Neue wiederholen. 2008 erhängt sich Alex Widmer, CEO von Julius Bär. Drei Jahre später wirft sich Ricola-Chef Adrian Kohler vor einen Zug. Nach seinem Tod geht hervor, dass er einen Betrag von mehreren 100 000 Franken veruntreut und sich noch selber angezeigt hat. 2013 wird Carsten Schloeter, CEO von Swisscom, tot in seinem Haus vorgefunden. Später wird klar, dass er Selbstmord begangen hat. Im selben Jahr nimmt sich Pierre Wauthier, der französische Finanzchef der Zurich-Versicherungsgruppe das Leben – durch Erhängen, wie Alex Widmer fünf Jahre zuvor. 2016 entscheidet sich Martin Senn schliesslich, seinem Leben ein Ende zu setzen; der Mann, der bis ein knappes halbes Jahr vor seinem Tod die Fäden der Zurich Insurance Group in den Händen hielt.

Dunkle Omen

Männer, von denen es hiess, sie hätten sich auf dem Höhepunkt ihrer Karriere befunden. Bei einigen von ihnen kam es vor ihrem Suizid zu Ereignissen, welche im Nachhinein als Omen dafür betrachtet werden können. Beispiele sind gespannte Verhältnisse zu Geschäftspartnern – wie in «Jagdzeit».

Suizidprävention

Aber wie kann ein Suizid verhindert werden? Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf dem Erkennen eines suizidalen Menschen (siehe Infobox). Hat man einen konkreten Verdacht, ist es laut Experten wichtig, die Person darauf anzusprechen und sich in einem ruhigen Gespräch Zeit fürs Zuhören nehmen. Ebenfalls ist wichtig, die Antworten nicht abzuwerten – was vielen nämlich nicht bewusst ist: Für suizidale Menschen steht das Sterben nicht an erster Stelle, sondern das Entfliehen der aktuellen Lebenssituation. Weiterhin ist es in solchen Fällen sinnvoll, psychologische oder ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Mögliche Warnsignale für einen Suizid:

  • Verschenken von Wertgegenständen
  • Verabschieden von Freunden und Bekannten
  • Angstzustände
  • Aussagen wie «Ich wäre doch besser nie geboren», «Wenn ich doch endlich nicht mehr hier wäre…», «Ihr wärt ohne mich doch viel besser dran»
  • Aufgabe von Hobbys oder anderen Aktivitäten
  • Stimmungsschwankungen
  • Konkrete Beschäftigung mit dem Thema Tod und Sterben wie dem Suchen nach Selbstmordmethoden
  • Ausdrücken von Hoffnungslosigkeit
  • Selbstzerstörerisches Verhalten wie exzessiver Alkohol- oder Drogenkonsum
  • Bereits unternommene Suizidversuche

Jagdzeit

Sabine Boss’ neuer Film «Jagdzeit» mit Stefan Kurt und Ulrich Tukur in den Hauptrollen läuft seit dem 20. Februar in den Schweizer Kinos.

Hilfesuchende können sich rund um die Uhr an die Telefonnummer 143 (Die Dargebotene Hand) wenden.
www.143.ch

Text Lars Gabriel Meier

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