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Recht

Auch im virtuellen Raum ist sexuelle Belästigung immer noch real

27.05.2021
von Evgenia Kostoglacis

Die virtuelle Ausstellung «Männerwelten» oder Instagram-Accounts wie «antiflirting2» zeigen auf, wie häufig Frauen im Netz sexuell belästigt werden. Doch wie sieht sexuelle Belästigung online genau aus und was kann man als Frau dagegen rechtlich unternehmen? 

2011, USA. Jamey Rodemeyer, damals 14, entscheidet sich wegen unerbittlicher Quälerei in Form von sexualisiertem Cyber-Mobbing aufgrund seiner sexuellen Orientierung, sich das Leben zu nehmen. 

2012, Kanada. Die 15-jährige Amanda Todd erhängt sich zu Hause, nachdem sie Opfer von sexueller Erpressung im Internet wurde. 

2017, Schweiz. Céline Pfister, 13 Jahre alt, nimmt sich das Leben nach der Veröffentlichung von Nacktbildern auf Snapchat von ihr. 

Obwohl die Digitalisierung eine vorteilhafte Vereinfachung der Kommunikation mit sich bringt, hat genau diese der Menschheit gleichzeitig viel Leid beschert. Sexuelle Belästigung im Internet ist eine grausame Realität, die man nicht unterschätzen darf. Dabei spielt die Anonymität im Netz eine signifikante Rolle für das Entstehen von sexueller Belästigung. Aufgrund der Tatsache, dass dort die Kommunikation ohne ein persönliches Entgegentreten stattfindet, verhindert sie bei Täter:innen die Entwicklung von Angstgefühlen und lässt Befürchtung vor Konsequenzen leichter wegfallen. Naturgemäss finden Belästigungen sexueller Art im Internet also nur verbal oder durch Bild- und Videomaterial statt. «Bei einer rein verbalen Belästigung stehen Beschimpfungen, Belästigungen, Bedrohungen und Erpressungen via E-Mail und SMS, in einem Chat oder sehr oft auch auf sozialen Plattformen im Vordergrund», präzisiert Frau Nadine Jürgensen, erfahrene Juristin und Journalistin.

Ab wann spricht man von sexueller Belästigung? 

«Juristisch fällt ein Verhalten mit sexuellem Bezug grundsätzlich unter die sexuelle Belästigung, sofern es von einer Seite unerwünscht ist und eine Person in ihrer sexuellen Integrität verletzt», erklärt Frau Jolanda Spiess, ehemalige Schweizer Politikerin und jetzige Netzaktivistin und Feministin. Für eine Bestrafung von Belästigungen im Netz müssen jedoch noch viele weitere Kriterien erfüllt sein. Es handelt sich beispielsweise nur um Belästigung, wenn die belästigte Person in diese weder eingewilligt noch diese ¬– etwa spasseshalber – provoziert hat. «Auch die Worte müssen sich direkt auf das Opfer beziehen, gleichzeitig an dieses gerichtet sein und in grober Weise erfolgen», erläutert Spiess. «Grob» wird in diesem Kontext als «unanständige sexuelle Aufforderungen sowie Äusserungen hinsichtlich der Geschlechtsteile oder des Sexuallebens des Opfers» definiert.

 Das wohlbekannte Dickpic 

Jede Frau hat persönliche Präferenzen, wenn es um den Empfang und Versand von intimen Bildern geht. Jedoch realisieren die meisten Absender nicht, dass eine nicht einvernehmliche fotografische Darstellung der männlichen Genitalien auf dem Screen einer Frau die Grenze überschreitet. Laut einer Studie haben 53 Prozent der Millennial-Frauen schon einmal ein Dickpic zugesandt bekommen. 78 Prozent davon haben diese anstössigen Schnappschüsse ohne ihre Einwilligung erhalten. Was diesen selbst ernannten männlichen Nacktmodels möglicherweise nicht bewusst ist: «Das ungefragte Versenden von Penisbildern fällt unter den Pornografie-Tatbestand von Art. 197 Abs. 2 StGB und ist somit verboten. Wer dagegen verstösst, wird mit einer Busse bestraft», so Jürgensen. Die schweizerische Kriminalprävention fügt hinzu, dass Dickpics Personen unter 16 Jahren nicht zugänglich gemacht werden dürfen. Wer gegen dieses Gesetz verstösst, wird mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. Wer übrigens ein Dickpic erhält, kann jetzt auf netzpigcock.ch innert 60 Sekunden einen Strafantrag erstellen – ein wertvoller Service, der von Jolanda Spiess mit ihrem Verein #NetzCourage eingeführt wurde.

Sextortion – sexuelle Erpressung im digitalen Raum 

Jemand hackt sich in private Accounts, manipuliert das Gegenüber emotional oder behauptet, fälschlicherweise Zugang zu Material mit sexuellem Inhalt zu haben. Dies nennt man Sextortion. Laut einer Studie ist diese Erpressungsmethode sehr oft mit Selbstmordfällen verbunden. Dies aus dem Grund, dass die Opfer von Sextortion häufig unter starker Hoffnungslosigkeit, Scham und Demütigung leiden. Dabei ist vor allem das Schamgefühl ein starker Risikofaktor für Suizid. In Fällen extremer Scham möchte die Personen sich vor der Aussenwelt verstecken. Selbstmord ist da die ultimative Möglichkeit. Noch tragischer sind Fälle der Fake-Sextortion, wo nie wirklich Material für eine tatsächliche Erpressung vorhanden war. Die schweizerische Kriminalprävention rät deshalb in Fällen von Sextortion sofort Kontakt mit der Polizei aufzunehmen und auf keinen Fall Lösegeld zu bezahlen.

Welche Schritte müssen immer unternommen werden? 

Das Schwierige an sexueller Belästigung online ist, die Täterschaft nachzuweisen. Feige verstecken sich die Täter:innen hinter anonymen Accounts und können ihre Spuren im Netz leichter verschwinden lassen. Deshalb ist es wichtig, sofort alle Beweismittel zu sichern. «Es macht immer Sinn, so viele Informationen zu sammeln wie möglich. Also E-Mail-Adressen, IP-Nummern oder auch Telefonnummern. Diese Beweismittel können der Polizei übergeben werden, wenn eine Anzeige erstattet wird», erklärt Jürgensen. Die Kriminalprävention fügt hinzu, dass man sich online auf keinen Fall direkt wehren soll, da man so nur noch mehr Angriffsfläche bietet und die Lage verkompliziert. Auch Spiess beteuert die Wichtigkeit der Beweissammlung und präzisiert weitere Schritte: «Im Akutfall ist das Wichtigste, Beweismittel durch Screenshots mit Datum, Zeitangabe und den Angaben der belästigenden Person zu sichern. Dann kann man eine Beratungsstelle wie beispielsweise #NetzCourage hinzuziehen. Solidarität ist bei Hass im Netz etwas vom Wichtigsten überhaupt.

Text Evgenia Kostoglacis  

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