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Digitalisierung Innovation

Warum die heimische Industrie nur durch Robotik bestehen kann

21.04.2021
von Kevin Meier

Die Deindustrialisierung ist in einigen Ländern bereits weit fortgeschritten. Auch in der Schweiz gibt es noch immer Auslagerungen. Eine Chance, dieser Dynamik entgegenzuwirken, bietet die Robotik.

In den westlichen Ländern gewinnt der tertiäre Wirtschaftssektor zunehmend an Bedeutung. Die Coronakrise wird diese Entwicklung kaum aufhalten. Besonders in den USA werden viele Arbeitsplätze in andere Länder ausgelagert. Nichtsdestotrotz ist die Industrie auch für die Wirtschaft westlicher Nationen von grosser Bedeutung und deren Konkurrenzfähigkeit sollte sichergestellt werden. Die Industrie 4.0 bietet hier einen Ansatz, Wertschöpfung und Arbeitsplätze in der Schweiz zu sichern. 

Die Zukunft der Schweizer Industrie

Smart Factory, IoT, Industrie 4.0 – Das sind nicht nur Schlagworte, sondern Teil einer langfristigen Entwicklung. Gemeint ist die Digitalisierung der Industrie mit dem Ziel, die ansässige Industrie wettbewerbsfähig zu halten. Starre Automatisierungslösungen sind nicht mehr unbedingt die Antwort auf die Deindustrialisierung. «Die USA haben es zu spät bemerkt und in der Schweiz hört man auch immer noch von zu vielen Auslagerungen», sagt Prof. Dr. Norman Urs Baier, Leiter des Instituts für intelligente industrielle Systeme I3S der Berner Fachhochschule. Mittlerweile scheinen vermehrt automatisierte und flexible Prozesse eine Antwort liefern zu können.

Vielseitige Roboter, die flexibel an neue Aufgaben angepasst werden können, stellen eine Möglichkeit dar, Prozesse schneller, schlanker und so auch günstiger zu gestalten. Dennoch ist dies laut Baier aber noch nicht sehr verbreitet in der Schweiz: «Die grösseren Unternehmen setzen auf grosse Automatisierungstiefe mit starren Produktionszellen, die bei Bedarf mit Transportbändern verbunden sind. Die kleineren setzen derweil auf die Flexibilität von Mitarbeitenden.» 

Roboterlösungen in verschiedenen Formen

In der Industrie entstanden durch diese Dynamiken die führerlosen Transportsysteme (FTS). Zu Beginn dieser Systeme fuhren diese noch auf starren Pfaden wie auf Schienen. Mittlerweile gibt es in diesem Bereich auch Lösungen, die sich freier bewegen sowie Kollisionen antizipieren und vermeiden können. Ein weiteres aufkommendes Thema in der Industrie sind die autonomen mobilen Roboter (AMR). Diese kann man nicht klar von FTS trennen, denn die Grenzen sind fliessend und die Definitionen breit gestreut. Ein Roboter in humanoider Gestalt wie der Atlas von Boston Dynamics, könnte alle Aufgaben von Menschen übernehmen. Diese können jedoch derzeit kaum wirtschaftlich in der Industrie eingesetzt werden und sind noch Zukunftsmusik. «Je stärker die AMR in ihrem Aufbau spezialisiert sind, desto wirtschaftlicher können sie eingesetzt werden. Das wiederum schränkt aber ihr Aufgabenfeld ein», erklärt Baier. 

Andere sehen AMR mehr als fahrbares Untergestell, ausgerüstet mit Greifern oder Manipulatoren. Speziell in der Intralogistik könnte es Vorteile bringen, wenn ein AMR selbstständig Werkstücke oder Werkzeuge abseits von starren Transportwegen befördern könnte. Baier erwähnt zusätzliche Anwendungsgebiete: «Situationen, in denen der AMR eine Bearbeitungsstufe selbst ausführt, sind vermutlich noch selten; am ehesten kommt die Inspektion in Frage. Zudem wird an Aufgaben in der Gastronomie und Pflege geforscht.»

Eine Einführung kann sich lohnen

Der Vorteil vom Einsatz flexibler Robotik liegt auf der Hand: die Flexibilität. Für Produkte, die stetige Veränderungen erfahren, ergebe es Sinn, spezialisierte Manipulatoren durch frei programmierbare Roboter zu ersetzen. Natürlich ist das jeweilige Vorgehen abhängig von den Unternehmen und den hergestellten Produkten und sollte für jeden Fall spezifisch betrachtet werden. Baier nennt einen denkbaren Vorteil: «Beispielsweise müssten Fabrikhallen nicht mehr minutiös geplant werden. Neue Zellen könnten bei Bedarf einfach dazugestellt werden, während AMR den Warenfluss sicherstellen.»

Flexible Robotik ist mit grossen Investitionen verbunden – nicht nur in die Roboter selbst, sondern auch in etwaige Schnittstellen. Im Falle von AMR ist es schwierig zu beantworten, ab welcher Unternehmensgrösse AMR wirtschaftlich wäre. «KMU haben häufig kleine Stückzahlen und flexible Arbeitsprozesse. Damit wären sie prädestiniert für flexible Robotik inklusive AMR», erläutert Baier. Zu Bedenken sei aber, dass gerade kleine Unternehmen auf direkte menschliche Kommunikation setzen und seltener die nötige weitreichende IT-Infrastruktur haben. Grössere Unternehmen arbeiten hingegen meist mit höheren Stückzahlen und deswegen seien AMR in solchen Fällen nicht lukrativ. «Interessant sind AMR für Unternehmen, die schon auf die Industrie 4.0 mit medienbruchsfreien Prozessen gesetzt haben, aber in der Herstellung von kleineren Stückzahlen unterwegs sind, beispielsweise auch im Zusammenhang mit Vorserien», resümiert Baier.

Digital zum Erfolg 

Die wirtschaftliche Einsetzbarkeit von AMR in der Industrie muss man anhand der Kosten, Flexibilität und Sicherheit suchen. Baier präzisiert: «Wobei in den Kosten neben der langsameren Produktion auch die Komplexität und die Anforderungen an die Schnittstellen zu berücksichtigen sind.» Nichtsdestotrotz sollte man FTS und AMR im Auge behalten. 

AMR als Teil der flexiblen Robotik könnten einen Mehrwert bringen. «Die Digitalisierung ist wichtig, FTS und AMR sind Varianten davon.» Baier führt aus, dass in der Situation der Schweiz der Industrie-4.0-Gedanke entscheidend ist: «Die durchgehende und medienbruchfreie Digitalisierung – von ERP über MES bis zur Werkhalle – ist die Voraussetzung für Erfolg.» Welche Art von flexibler Robotik genau eingesetzt wird, spiele eine untergeordnete Rolle. Aber Konsequenz wirkt der Deindustrialisierung entgegen, denn keine oder eine teilweise Automatisierung wäre zu teuer. 

Text Kevin Meier 

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