vr
Innovation

VR bietet mehr als nur Vergnügen!

20.11.2020
von Kevin Meier

Virtuelle Prototypen, digitale Zwillinge, VR, AR: Einige dieser Begriffe sind schon in der Industrie etabliert, andere werden noch oft lediglich als Spielerei wahrgenommen. Ein Irrtum! «Fokus» gibt einen Überblick über diese Technologien und deren Zukunft.

Virtuelle Prototypen sind heute kaum noch aus der Industrie wegzudenken: Autos, Flugzeuge, Kaffeemaschinen, Pfannen und Kleidung werden mittlerweile am Computer zusammengebaut, bevor es zur Erstellung eines realen Prototypen kommt. Die Produktentwicklung findet vornehmlich digital statt. «Es gibt nur noch wenige Unternehmen, die ohne virtuelle Prototypen arbeiten», erklärt Peter Hug, Dozent für Produktentwicklung und Industriedesign an der ZHAW. Die Möglichkeiten gehen bereits aber schon viel weiter.

Eine Nummer grösser: der virtuelle Zwilling

Mit einem virtuellen Zwilling wird der gesamte Lebenszyklus eines Produkts abgebildet. Man möchte möglichst alles so simulieren, wie es in der Realität auch sein wird. Dr. Markus Zank des «Immersive Realities Research Labs» der Hochschule Luzern verweist auf das Beispiel des Facility Management. Die Wartung eines grossen Gebäudes kann mit einem digitalen Abbild unterstützt werden. Dieses erlaubt eine einfache Planung von Wartungsarbeiten, durch die Verfügbarkeit aller Daten in einem Modell. Dies lässt sich auch auf Fabrikhallen oder ganze Städte übertragen. Peter Hug berichtet, dass man inzwischen sogar in den Anfängen steckt, Medikamente virtuell zu entwickeln und Operationen an digitalen Abbildern von Menschen vorzubereiten und zu optimieren.

VR – mehr als nur Games

Der Sprung von einem digitalen Zwilling zur Erfahrung dessen im virtuellen Raum ist ein leichter. VR (Virtual Reality) eröffnet eine neue Fülle an Möglichkeiten in der Produktentwicklung. Dr. Zank erklärt: «VR ist ein Medium, das prädestiniert dafür ist, sich solche Prototypen anzuschauen.» Man kann – mit einem VR-Headset – ein geplantes Gebäude in der Grösse 1:1 zu Fuss erkunden. Diese lebensechte Erfahrung des Prototypen erleichtert die Planung und Überprüfung erheblich. Auch ergonomische Abklärungen der Mensch-Maschine-Schnittstelle können durchgeführt werden, bevor eine physische Ressource überhaupt verbaut wird. In einer Führerkabine wird es möglich, zu testen, ob Knöpfe in Reichweite liegen und wie das Sichtfeld ist. «Diese Dinge kann man sensationell mit VR prüfen», erläutert Peter Hug, «ich möchte es nicht mehr wegdenken.»

Der Sprung von einem digitalen Zwilling zur Erfahrung dessen im virtuellen Raum ist ein leichter.

Warum das Virtuelle und Reale trennen?

Alles in den virtuellen Raum zu verlegen ist aber nicht mehr unbedingt das Ziel aller Entwicklungen. Eine weitere Vorstellung ist es, das Virtuelle und das Physische übereinanderzulegen. Dieses Konzept der Augmented Reality (AR) ist eine noch anspruchsvollere Technologie. Sie ermöglicht, das virtuelle Objekt direkt einem realen gegenüberzustellen. Als Endgeräte können Smartphones, Tablets und Headsets dienen. Ein klassisches Beispiel ist laut Dr. Zank, dass man sich in einem fertigen Gebäude umschauen kann, wobei Wasser- und Stromleitung über das Endgerät «durch die Wand» angezeigt werden können. Ein weiterer Anwendungsbereich ist das Training, wie Peter Hug sagt: «Heute kann man Lernszenarien, und Bedien- und Wartungsanleitungen über AR erstellen». So können beispielsweise bei Maschinenwartungen virtuelle Zeichen und Hervorhebungen über das reale Objekt eingeblendet werden. Daraus resultiere eine dynamische Schritt-für-Schritt-Anleitung. AR bietet auch in anderen Branchen Anwendungen, ebenso wie im privaten Bereich; eine Einblendung von Informationen in Echtzeit kann Vorteile bringen.

Muss denn alles digital sein?

Die digitale Transformation bringt erhebliche Vorzüge mit sich. Zum einen gestaltet sich die Produktentwicklung und -optimierung zeitlich effizienter. Virtuelle Prototypen sind in kürzerer Zeit zusammengebaut als reale. Ebenso können Änderungen in Sekunden vorgenommen werden, ohne einen neuen Prototypen erstellen zu müssen. Diese Vorgänge sind kostengünstig und ressourcenschonend im Vergleich zu früheren Prozessen. Ein weiterer Vorteil ist, dass man ortsunabhängig entwickeln kann. Internationale Teams, oder auch Teams im Homeoffice, können gleichzeitig an einem virtuellen Prototypen arbeiten. Es ist nicht mehr nötig, mehrere reale Prototypen um die Welt zu schicken. In Verbindung mit VR können sich die Teams einen virtuellen Prototypen auch zusammen im virtuellen Raum anschauen und den Prototypen technisch prüfen.

Branchenspezifische Vor- und Nachteile

Die Experten mahnen aber auch, dass virtuelle Prototypen trotzdem sehr genau sein müssen. «Man ist immer durch die Simulationsmöglichkeiten beschränkt», erinnert Dr. Zank. Computerleistungen und Simulationen verbessern sich zwar konstant, aber sie bilden die Realität noch nicht perfekt ab. Ein grosses Thema ist zum Beispiel die Haptik. In VR kann man vieles überprüfen – das Objekt anzufassen, ist aber noch nicht möglich. Zudem sollte man nicht blind auf die Technologie vertrauen. Denn Simulationen können auch von der Realität abweichen, weshalb Peter Hug dazu rät, trotzdem «mindestens einen realen Prototypen zu bauen, um zu überprüfen, ob die virtuellen Berechnungen stimmen». Generell muss aber auch gesagt werden, dass Vor- und Nachteile branchenspezifisch sind. Schliesslich unterscheiden sich die Ziele und Anwendungsbereiche virtueller Methoden von Sparte zu Sparte.

Ein Blick voraus

Wie eingangs erwähnt, sind virtuelle Prototypen und Zwillinge keine Visionen für die Zukunft, sondern etablierte Instrumente in der Industrie. Dennoch werden sie sich noch weiter ausbreiten und in neuen Branchen Anwendung finden. Ebenso denken die Experten, dass sich auch VR und AR stark verbreiten werden. Dr. Zank beobachtet, dass vor allem im Bereich des VR die Verkaufszahlen steigen und die Hardware sich stetig verbessert und erschwinglicher wird. Peter Hug sieht es ähnlich: «Heute ist der Reifegrad von VR so gut, dass man es breit einsetzen kann.» Obwohl die Firmen noch etwas hinterherhinken, glaubt er, dass diese Technologien in einigen Jahren alltägliche Werkzeuge sein werden.

Text Kevin Meier

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Vorheriger Artikel KI ebnet den Weg für die vierte industrielle Revolution
Nächster Artikel Michel Tröhler: Roboterhund, Robodoctor und Roboadvisor?